Die schwierige Suche nach der Wahrheit

Das Bundesverfassungsgericht betont immer wieder, dass die Ermittlung des wahren Sachverhalts oberstes Prinzip des Strafprozesses ist.

Das Bundesverfassungsgericht betont immer wieder, dass die Ermittlung des wahren Sachverhalts oberstes Prinzip des Strafprozesses ist. Der Prozess gegen Amanda Knox zeigt aber wieder einmal, dass in der Praxis die Suche des Gerichts nach der Wahrheit, wie in vielen anderen Fällen auch, von den Ermittlungsbehörden erschwert oder sogar verhindert werden kann. Es besteht die Gefahr, dass durch polizeiliches Handeln aus bloßem Verdacht der am Anfang der Ermittlungen steht, "eine realitätsstiftende Wirklichkeit des Verdachts erwächst." (Hans Georg Soeffner in Auslegungen des Alltags - Der Alltag der Auslegung, 2004, S. 245).
Eine strukturanalytische Feldstudie von Soeffner belegt, dass der polizeiliche Schlussbericht oft die „aus mehrfachen Formungs- Abschleifungs- Auffüllungs- und Gerinnungsverfahren hervorgegangene, schließlich auf ein bestimmtes Publikum (nämlich Staatsanwalt und Richter) hin editorisch bearbeitete, zum Texttyp „Protokoll“ erstarrte Repräsentation einer - als solcher- nicht mehr auffindbaren ursprünglichen Handlungssituation (ist). Kurz: Das, was Staatsanwalt oder Haftrichter vorgelegt bekommen, das Protokoll, repräsentiert weder die ursprüngliche Situation noch die „Realaussage“. Es ist vielmehr ein entscheidungsvorbereitendes Produkt und kommt durch Verknappung auf das Entscheidende und auf polizeiliche Vorkodierung einer juristisch „brauchbaren“ Entscheidungsgrundlage schon relativ nahe.“ (Soeffner S. 249).
Durch den polizeilichen Schlussbericht kann somit eine vorläufige Festlegung des Richters erfolgen, die zu einer selektiven Informationsaufnahme führen kann.
Aus Untersuchungen der Erkenntnispsychologie ist bekannt, dass häufig nur das Erwartete wahrgenommen wird. (Prof. Dr. Schünemann, „Der Richter im Strafverfahren als manipulierter Dritter? Zur empirischen Bestätigung von Perseveranz- und Schulterschlusseffekt, StV 2000, 159 ff).
Der von Hans Holzhaider in der SZ vom 8./9. Oktober 2011 zitierte Prozess des Landswirts Rolf R in der Nähe von Ingolstadt, in dem eine ganze Familie zu langen Haftstrafen verurteilt wurde, weil sie gemeinsam den Landwirt Rolf R. getötet, die Leiche zerstückelt und anschließend dem Hunden zum Fraß vorgeworfen haben und vier Jahre später das Auto des verschwundenen Bauern aus der Donaus mitsamt dem Leichnam komplett und unzerstückelt gezogen wurde, zeigt wie sehr sich eine mit dem Strafurteil konstruierte juristische Wahrheit vom tatsächlichen Geschehen entfernen kann. Dies belegen auch die zahlreichen mit Erfolg durchgeführten Wiederaufnahmeverfahren.