Familienrecht / Elternunterhalt; Was ist der Sandwichgeneration zuzumuten und wo liegen die Grenzen beim Elternunterhalt?

Die aktuelle Entscheidung des BGH wirft Fragen auf. Wie weit geht der Elternunterhalt? Wann ist der Elternunterhalt verwirkt? Wodurch ist der Elternunterhalt eigentlich überhaupt gerechtfertigt und wie sehen dies andere Staaten. Wir geben Antworten.

Der BGH hatte in seiner Entscheidung vom 12.02.2014 Gelegenheit Grenzlinien für den Verwandtenunterhalt, wie er im Gesetz geregelt ist zu ziehen. Nach dieser Gesetzeslage ist auch bei 40-jährigem Kontaktabbruch der Unterhaltsanspruch des Vaters gegenüber seinem Kind nicht verwirkt. Folglich ist es dem Sozialhilfeträger, der beim Elternunterhalt meist in Vorleistung geht, möglich Regress bei den Kindern zu nehmen.

 

Sachverhalt der Gerichtsentscheidung

Vater und Mutter trennten sich vor 40 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Kind 19 und hatte gerade das Abitur geschafft. Der Vater hatte dann noch 1 Jahr losen Kontakt zu seinem Sohn und brach anschließend, um den Streitigkeiten mit der Mutter aus dem Weg zu gehen, den Kontakt zu seinem Sohn vollständig ab. Vater und Sohn hatten daraufhin für 40 Jahre keinen Kontakt mehr zueinander.

1998 errichtete der Vater ein Testament. In diesem verfügte er, dass eine Bekannte seine Alleinerbin sein solle. Seinen Sohn setzte er in seinem Testament auf den „strengsten Pflichtteil“. Erläuternd fügte er hinzu, dass er seit 27 Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn habe.

2008 kam der Vater in ein Pflegeheim.

Das Nächste was der Sohn von seinem Vater zu hören bekam war ein Brief des Bezirks. In diesem teilte der Bezirk dem Sohn mit, dass sein Vater im Pflegeheim sei und man zur Prüfung des Bestehens von Unterhaltsansprüchen nunmehr Auskunft über Einkommen und Vermögen des Sohnes benötige.

Nach 4 Jahren im Pflegeheim verstarb der Vater im Februar 2012. Es war in dieser Zeit ein rechnerisch richtig ermittelter Unterhaltsanspruch von 9.000 € entstanden.

Der Sohn, der nunmehr davon erfuhr, dass er von seinem Vater auch noch auf den „strengsten Pflichtteil“ herabgestuft worden war, wehrte sich gegen diesen Unterhaltsanspruch dadurch, dass er wegen des langen Kontaktabbruchs die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs einwand.

Das Familiengericht gab dem Sozialamt recht und verurteilte den Sohn entsprechend zur Zahlung von 9.000,- € Elternunterhalt.

Das anschließend eingeschaltete OLG nahm die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs an und wies entsprechend den vom Bezirk geltend gemachten Elternunterhalt ab.

Daraufhin hatte sich der BGH mit der Frage zu beschäftigen, ob der auf den Bezirk übergegangene Elternunterhalt aufgrund des Verhaltens des Vaters in der Vergangenheit verwirkt war.

 

BGH Urteil Scheidung / Unterhalt

Entscheidung des BGH

Der BGH entschied, dass der Elternunterhalt trotz des 40-jährigen Kontaktabbruchs des Vaters zu seinem Sohn nicht verwirkt ist.

Dabei geht der BGH zunächst nach der Gesetzeslage zutreffend davon aus, dass grundsätzlich eine Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seinem Sohn besteht. Der daraus resultierende Unterhaltsanspruch ist außerdem auf den Bezirk als Sozialhilfeträger übergegangen.

Dieser Unterhaltsanspruch ist nach Ansicht des BGH auch nicht verwirkt.

Zwar stellt ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch wegen der darin liegenden Verletzung der sich aus § 1618 a BGB ergebenden Pflicht zu Beistand und Rücksicht regelmäßig eine Verfehlung dar. Diese Verfehlung führt aber nur bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts. Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht festgestellt. Zwar mag der Vater durch sein Verhalten das familiäre Band zu seinem volljährigen Sohn aufgekündigt haben. Andererseits hat er sich in den ersten 18 Lebensjahren seines Sohnes um diesen gekümmert. Er hat daher gerade in der Lebensphase, in der regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich ist, seinen Elternpflichten im Wesentlichen genügt. Die Errichtung des Testaments selbst stellt keine Verfehlung dar, weil der Vater insoweit lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht hat.

 

Die wesentlichen Passagen aus der Entscheidung des BGH zur Abgrenzung zwischen Verfehlung und für die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs maßgeblichen schweren Verfehlung lauten:

„Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden.“ …

„Zwar mag der Vater durch sein Verhalten das familiäre Band zu seinem Sohn aufgekündigt haben. Sein Verhalten offenbart jedoch nicht einen so groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme, dass von einer schweren Verfehlung ausgegangen werden könnte (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - XII ZR 304/02 - FamRZ 2004, 1559, 1560 m.w.N.). Denn bis zur Trennung der Eltern im Jahr 1971 und mithin in den ersten 18 Lebensjahren des Antragsgegners war der Vater Teil des Familienverbands und hat sich um den Antragsgegner gekümmert. Der Vater hat daher gerade in den regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erfordernden Lebensphasen seines Sohnes bis zum Erreichen der Volljährigkeit im Wesentlichen den aus seiner Elternstellung folgenden Rechtspflichten genügt. Als es im Jahr 1972 zum Kontaktabbruch kam, war der damals fast 19-jährige Antragsgegner zwar nach damaliger Rechtslage noch nicht volljährig, hatte jedoch bereits erfolgreich das Abitur abgelegt und damit eine gewisse Selbstständigkeit erlangt. Das in die Zeit ab dem 19. Lebensjahr des Antragsgegners fallende Verhalten des Vaters stellt sich im Hinblick darauf nicht als eine schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB dar. Insoweit unterscheidet sich dieser Fall maßgeblich von der vom Senat im Jahr 2004 entschiedenen Konstellation, in der die (unterhaltsberechtigte) Mutter ihr Kind im Kleinkindalter verlassen hatte (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - XII ZR 304/02 - FamRZ 2004, 1559).“

 

Auswirkungen der Entscheidung in der Praxis:

Aus dem Wortlaut der BGH-Entscheidung wird deutlich, dass der BGH vor allem deshalb keine zur Verwirkung führende schwere Verfehlung annehmen wollte, weil es in den ersten 18 Lebensjahren zu keiner Verfehlung kam. Vielmehr bestand in den ersten 18 Lebensjahren offenbare eine tragfähige Beziehung zwischen Vater und Sohn, in der der Vater seiner väterlichen Verantwortung nach Beistand nachgekommen ist.

Im Gegenschluss ist davon auszugehen, dass der Elternunterhalt nach Ansicht des BGH verwirkt ist, wenn es zu einer Verfehlung „in den regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erfordernden Lebensphasen seines Kindes bis zum Erreichen der Volljährigkeit“ durch einen Kontaktabbruch, Unterhaltsverweigerung oder in anderer Form kommt.

 

Elternunterhalt in der Kritik

Der Elternunterhalt trifft die sogenannte Sandwichgeneration. Diese Generation leistet zum einen Unterhalt an ihre eigenen Kinder. Zum Zweiten ist nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge davon auszugehen, dass eine angemessene Altersvorsorge dieser Generation nur mit eigener privater Vorsorge erzielbar ist, so dass auch hierfür Teile des Einkommens verwendet werden müssen. Viele gehen deshalb davon aus, dass eine Dreifachbelastung von Kindesunterhalt, eigener Altersvorsorge und Elternunterhalt eine übermäßige Belastung für die Sandwichgeneration ist.

Weitere Kritik erfährt der Elternunterhalt dafür, dass der Elternunterhalt in der heutigen Zeit, in der es de facto nur noch wenige Großfamilien, dafür aber viele Kleinfamilien oder Patchwork-Familien gibt, seine Berechtigung eingebüßt hat. Die Funktion des Elternunterhalts, der ursprünglich in Großfamilien noch seine Rechtfertigung in einer von breiten Teilen der Bevölkerung gelebten sozialethischen Rechtspflicht, nämlich der eigenen Pflege der Eltern, gefunden hat, ist längst verloren gegangen. Der Elternunterhalt ist damit zu einem Entlastungsinstrument des Staats verkommen, das neben den allgemeinen Steuern zur Aufbesserung der Staatsfinanzen seine Rechtfertigung suchen muss. Aus meiner Sicht gibt es eine solche Rechtfertigung nicht mehr und der Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihre Kinder sollte deshalb aus dem Gesetz verbannt werden.

Hätte das Folgen für die Alten? Nein und wenn dann jedenfalls keine negativen Folgen. Einige Thesen:

  • Das angloamerikanische wie auch das skandinavische Recht kennt einen Elternunterhaltsanspruch gar nicht. Im deutschen Recht ist der Elternunterhalt entstanden aus dem romanischen Rechtskreis. Unser Elternunterhalt stammt damit aus einer Zeit, in der man Kinder noch als Altersversicherung betrachtete. Diese Funktion hat heute der Sozialstaat übernommen.
  • Allein das Bestehen von Rechtspflichten hat noch zu keiner Zeit maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten von Menschen in engen personalen Beziehungen ausgeübt. Diejenigen Eltern, die von ihren Kindern zu Hause gepflegt werden, würden diese Pflege somit auch ohne den Elternunterhalt weiter erfahren.
  • Es ist bekannt, dass viele ältere Menschen auf Sozialhilfe verzichten, weil sie einen Rückgriff bei ihren Kindern fürchten. U. a. deshalb wurde vom Gesetzgeber die Grundsicherung eingeführt. Der staatliche Verzicht auf einen Rückgriffsanspruch auf die Kinder führt damit eher dazu, dass diejenigen Eltern die finanzielle Hilfe dringend benötigen diese auch beanspruchen.

 

Gesetzestext Familienrecht Scheidung Unterhalt

Rechtlicher Hintergrund:

 

§ 1601 BGB: Unterhaltsverpflichtete

Der Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihre Kinder ergibt sich aus § 1601 BGB. Dieser gilt nicht nur in absteigender Linie (also für Eltern gegenüber ihren Kindern) sondern auch in aufsteigender Linie (also für Kinder gegenüber ihren Eltern). Der Gesetzestext lautet:

Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.

 

§ 1611 BGB:  Beschränkung oder Wegfall der Verpflichtung

Der Unterhaltsanspruch kann durch den Unterhaltsberechtigten verwirkt werden. Dazu regelt das Gesetz in § 1611 BGB vor allem, dass der Unterhaltsanspruch ganz oder teilweise entfällt, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist oder seine eigene Unterhaltspflicht gröblich vernachlässigt hat. Der Gesetzestext lautet:

(1) Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 sind auf die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren minderjährigen unverheirateten Kindern nicht anzuwenden.

(3) Der Bedürftige kann wegen einer nach diesen Vorschriften eintretenden Beschränkung seines Anspruchs nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen.

 

 § 1618a BGB: Pflicht zu Beistand und Rücksicht

Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.

 

 § 94 SGB VIII: Übergang von Ansprüchen gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen

Gemäß § 94 SGB VIII geht der Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihre Kinder auf den Sozialhilfeträger über soweit dieser die Pflegekosten trägt. Der Gesetzestext lautet:

(1) Hat die leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, nach bürgerlichem Recht einen Unterhaltsanspruch, geht dieser bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf den Träger der Sozialhilfe über. Der Übergang des Anspruchs ist ausgeschlossen, soweit der Unterhaltsanspruch durch laufende Zahlung erfüllt wird. Der Übergang des Anspruchs ist auch ausgeschlossen, wenn die unterhaltspflichtige Person zum Personenkreis des § 19 gehört oder die unterhaltspflichtige Person mit der leistungsberechtigten Person vom zweiten Grad an verwandt ist; der Übergang des Anspruchs des Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel gegenüber Eltern und Kindern ist ausgeschlossen. Gleiches gilt für Unterhaltsansprüche gegen Verwandte ersten Grades einer Person, die schwanger ist oder ihr leibliches Kind bis zur Vollendung seines sechsten Lebensjahres betreut. § 93 Abs. 4 gilt entsprechend. Für Leistungsempfänger nach dem Dritten und Vierten Kapitel gilt für den Übergang des Anspruchs § 105 Abs. 2 entsprechend.

(2) Der Anspruch einer volljährigen unterhaltsberechtigten Person, die behindert im Sinne von § 53 oder pflegebedürftig im Sinne von § 61 ist, gegenüber ihren Eltern wegen Leistungen nach dem Sechsten und Siebten Kapitel geht nur in Höhe von bis zu 26 Euro, wegen Leistungen nach dem Dritten Kapitel nur in Höhe von bis zu 20 Euro monatlich über. Es wird vermutet, dass der Anspruch in Höhe der genannten Beträge übergeht und mehrere Unterhaltspflichtige zu gleichen Teilen haften; die Vermutung kann widerlegt werden. Die in Satz 1 genannten Beträge verändern sich zum gleichen Zeitpunkt und um denselben Vomhundertsatz, um den sich das Kindergeld verändert.

(3) Ansprüche nach Absatz 1 und 2 gehen nicht über, soweit

                1.            die unterhaltspflichtige Person Leistungsberechtigte nach dem Dritten und Vierten Kapitel ist oder bei Erfüllung des Anspruchs würde oder

                2.            der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde.

Der Träger der Sozialhilfe hat die Einschränkung des Übergangs nach Satz 1 zu berücksichtigen, wenn er von ihren Voraussetzungen durch vorgelegte Nachweise oder auf andere Weise Kenntnis hat.

(4) Für die Vergangenheit kann der Träger der Sozialhilfe den übergegangenen Unterhalt außer unter den Voraussetzungen des bürgerlichen Rechts nur von der Zeit an fordern, zu welcher er dem Unterhaltspflichtigen die Erbringung der Leistung schriftlich mitgeteilt hat. Wenn die Leistung voraussichtlich auf längere Zeit erbracht werden muss, kann der Träger der Sozialhilfe bis zur Höhe der bisherigen monatlichen Aufwendungen auch auf künftige Leistungen klagen.

(5) Der Träger der Sozialhilfe kann den auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch im Einvernehmen mit der leistungsberechtigten Person auf diesen zur gerichtlichen Geltendmachung rückübertragen und sich den geltend gemachten Unterhaltsanspruch abtreten lassen. Kosten, mit denen die leistungsberechtigte Person dadurch selbst belastet wird, sind zu übernehmen. Über die Ansprüche nach den Absätzen 1 bis 4 ist im Zivilrechtsweg zu entscheiden.

 

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